Muster-Kreuzung in Boston: Ampel auf rot, diagonale Überquerungsmöglichkeit für Fußgänger und typischer Mittelklassewagen - der bordeauxrote, nicht der silberne! |
Ich bin ja - vorbildlich - mit Helm unterwegs, und das ist auch gut so. Der gemeine Bostoner Autofahrer nimmt auf Radler nämlich so gut wie keine Rücksicht. Ständig muss man sich öffnenden Autotüren ausweichen, Fahrradspuren (wenn es denn welche gibt) wegen dort haltender Autos verlassen, höllisch aufpassen bei rechts-vor-links, abrupt bremsen, weil man geschnitten wird usw.
Wenn man sich an der Ampel zwischen Auto und Bordsteinkante vor zur Haltelinie zwängen kann, dann ist das schon viel. Aufpassen, wenn das Auto dann aber rechts abbiegen möchte und nicht geblinkt hat! Haltelinie, auch so eine Sache. Die gibt es. Aber der gemeine Bostoner Verkehrsteilnehmer hält eigentlich auf dem Streifen der Fußgängerampel, am besten so, dass man als Fußgänger um das Auto herum laufen muss. Das hat natürlich den Vorteil, dass man beim nächsten Grün vielleicht noch vor dem Gegenverkehr links abbiegen kann. Grün, gibt es auch. Aber keine grüne Welle. Man steht - so kommt es einem vor - an jeder Ampel, was gerade in geschäftsreichen Straßen und dem Uni- und Klinikviertel häufig vorkommt. An manchen Fußgängerampeln (siehe Bild) ist es erlaubt, die Kreuzung auch diagonal zu überqueren. Da es keine grüne Welle gibt, geht sowas; der Autoverkehr steht dann eben in alle Richtungen.
Das normale amerikansiche Auto ist groß. So groß wie möglich. Ich würde sagen, die durchschnittliche Größe entspricht den größten Geländewagen (SUVs) die man in Deutschland auf der Straße findet, also so ungefähr Audi Q7, VW Tuareg, BMW X5. Es gibt viele normale Limusinen, wenig Kombis (viel zu praktisch) und keine Kleinwagen (viel zu spritsparend und viel, viel, viel zu klein). Wer was auf sich hält fährt einen großen Geländewagen oder Pick-up - Allrad ist ein "must have" in der Großstadt! Je größer die Ladefläche, je größer der Motorraum desto besser. Ein anständiges amerikanisches Auto ragt mindestens seitlich über den Parkstreifen am Straßenrand hinaus (was es für Fahrradfahrer nicht einfacher macht) - und am besten in der Länge auch noch. Naja, wenn der Liter Benzin auch nur 80ct kostet, macht man sich auch keine Gedanken über sowas wie Hybrid, Elektroautos und Start-Stop-Automatik.
Am Anfang war ich mit dem Bus und mit der U-Bahn unterwegs. Den Deutschen mag stören, dass es an den meisten Bushaltestellen keinen Fahrplan gibt, und mitunter auch nicht die Linie dran steht, welche diese Haltestelle bedient. Aber dass ich das Bussystem absolut undurchsichtig fand, das ging mir schon in London und Paris so. Von Peking ganz zu schweigen. Google Maps ist dein bester Freund! Standort und Ziel eingeben, und es spukt die beste Bus/U-Bahn-Verbindung für deine Route aus. Das funktioniert sehr zuverlässig und man kann sich so quasi einen Fahrplan ausgeben lassen. Bus fahren ist recht günstig. Knapp 1,20 € für eine einfache Strecke (Marcos Wohnung - Labor ging direkt), gut 1,50 € mit Umsteigen, und 1,90 € wenn man dabei die U-Bahn benutzt. Auf dem Heimweg zu Marco habe ich immer den Harvard-Shuttle genommen (verbindet den Naturwissenschaften- und Klinikkomplex mit dem alten Harvard-Campus), der war kostenlos, aber man musste noch gut 15 min laufen (wozu ich früh keine Lust hatte). Sowohl Busse als auch U-Bahnen (hier "T-Lines") sind im Vergleich zu deutschen Bussen und Bahnen deutlich älter und heruntergekommener. Von außen und von Innen. Sitzpolster meist Fehlanzeige, ganz zu schweige von diesen Infotainment-TVs, die es immer mehr gibt. Und auch die S-Bahnen hinken dem 21. Jahrhundet noch hinterher... bei Beinfreiheit, Attraktivität, Komfort. Der Bostoner Pendler sieht diese Transportmittel halt wirklich nur als Transportmittel, und verzichtet da anscheinend auf möglichen Komfort. Vielleicht fehlt den Verkehrsunternehmen aber auch nur das Geld für große Investitionen. Der Bedarf wäre da.
Wenn man allen Widrigkeiten trotzt, Regenjacke und -hose immer dabei hat, und stets einen Tick schneller reagiert als Autofahrer, dann ist man aber mit dem Rad hier wirklich am besten unterwegs. Eigentlich ist alles flach, ein paar vernachlässigbare Anstiege gibt es, aber sonst rollt es gut. Von der Haustür meines neuen Wohnorts bis zum Labor bin ich - je nach Ampelphasen - 10-15 min unterwegs. Das ist mit Bahn und Bus nicht zu toppen.
Liebe Grüße und bis bald,
Stefan
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